Sonntag, 29. November 2015

DIE MARIONETTE EICHENBLATT


MARIONETTE EICHENBLATT

Ein Eichenblatt: kein Er und keine Sie - ein Es 
Es wollte immer nur spielen und nie erwachsen werden. 
Kaum war es frisch aus der Knospe gerollt, hellgrün und ganz zart noch, da zeigte sich schon, dass dieses eine kleine Blatt sich irgendwie zu unterschieden schien von all den anderen Blättern des Eichenbaums. Es plapperte den lieben langen Tag, schnitt Fratzen, zog Grimassen und ahmte Tiere nach.  Nicht einen Moment konnte es ruhig halten, es flatterte und zappelte unentwegt. Bis in den späten Abend hinein hampelte das Blatt und machte seine Witze.
Der Mond sogar hat manche Nacht sich über das lustige Blatt krumm gelacht.

Der Eichenbaum an dem der grüne Zappelphilipp hing 
fürchte, dass der Blattstiel das wilde Blatt bald nicht mehr lange halten können würde. Um den kleinen verrückten Künstler nicht zu verlieren, bildete der Baum lange Fäden, die das Blatt an seinen Spitzen fixierten. So wurde hoch oben am Eichenast das Eichenblatt zur Marionette.
Ab und an, durch all zu übermütiges Gestikulieren, kam es vor, das sich die Fäden des Blattes verwirrten. Wenn die Marionette gelegentlich Kopf stand, verknoteten sich ihre Stricke ab und an schon einmal. Obwohl das MarionettenBlatt wusste, dass die Fäden nötig waren, damit es nicht vom Baume fiele, verwünschte es seine Gebinde oft und träumte davon einmal losgelöst sein zu können.
Es zog am liebsten selbst an seinen Fäden, wünschte sich ein Rückrat und hätte all zu gern Flügel.
Der Wind, der ein guter Freund vieler Blätter ist, hatte von allen Blättern die EichenblattMarionette besonders in sein Herz geschlossen. Wenn sich das Blatt wieder einmal in seinen Fäden verfangen hatte, blies der Wind vorsichtig bis die Verwirrungen sich wieder lösten. Beim Knoten lösen kamen der Marionette die Meisen zu Hilfe. Allein war das unterhaltsame Eichenblatt nie.
Hing es auch manchmal noch so schief in den Seilen, seine Texte trug das MarionettenBlatt, in jeder noch so abenteuerlichen Situation, stets vor mit großer Leidenschaft. Spielen und Geschichten erzählen, das war eben sein Ding, das war sein Lebenselixier.


Im Laufe der Zeit wurde das Spiel des Marionetten-Blattes immer einfallsreicher und farbenfroher.
Im Sommer nahm es manches Mal sogar eine glitzernde Lichtgestalt an.
Im Herbst trug es die kunterbuntesten Kostüme. 

Mit seinen phantasievollen Darbietungen zog die EichenBlattMarionette viele aufmerksame Naturgeschöpfe in ihren Bann. Sie schenkte Abwechslung und Freude und wurde mit Lachen und Beifall belohnt. 
Bewundernswert, so viel Energie, Lebensfreude und Humor von einem kleinen Blatt.

War die Marionette auch ihr ganzes Leben lang kindlich geblieben, so kam doch auch für sie der Moment, sich dem Naturgesetz des Werden und Vergehens zu stellen.
Im späten Herbst, die meisten Blätter waren längst von den Bäumen gefallen, hing die Marionette 
Saft- und Kraftlos nur noch an zwei Fäden hoch oben im Geäst. Zusehends verblasste das MarionettenBlatt. Beinahe durchsichtig-geisterhaft wurde das Blatt als die ersten Schneeflocken fielen. Es war kaum wider zuerkennen. Sanfter wurde es und seine Stimme wurde immer melodiöser. Seine Texte hauchte es nur noch.
Lange hielt das Blatt sich krampfhaft fest an seinen letzten dünn und brüchig gewordenen Fäden. Zu sehr fürchtete es einen schnellen Sturz und eine unsanfte Landung. Der Boden unter ihm war schon eisig kalt und hart gefroren.
Der Herbstwind sprach der Marionette Mut zu und versprach ihr einen wundervollen Segelflug. Nur los lassen müsste das Blatt schon selbst. Er würde seinen Blatt-Freund gewiss nicht im Stich lassen und würde die Marionette begleiten bei deren Übergang in deren neue Existenz.

Als der nächste Herbststurm die Eichenblatt-Marionette streifte, rissen die Seile der Marionette und tapfer ließ das Blatt los. Im Bewusstsein, dass das Ende seines Blatt seins einen neuen Anfang mit sich bringen würde, tanzte das Blatt berauscht auf den Schwingen des Windes aber dieses Mal gänzlich frei und ungebunden.
Das leicht gewordene Blatt wirbelte lang durch die Lüfte und sang leise mit dem Wind bevor es sanft auf dem Boden ankam, wo es in einem Bett aus frischen Schneeflocken versank. 
Die Marionette atmete tief. Sie war bereit zur immerwährenden Verwandlung. Sie küsste den Boden und befruchtete die Erde.


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