VERZAUBERTES ROSS
von der Wutachschlucht im Schwarzwald
Das war ein ganz besonders schönes Pferd.
Wie wild war es und ungestüm. Wenn das junge wilde Pferd durch seine Koppel
sprang und übermütig Haken schlug, wehten im frischen Morgenwind seine helle, prachtvoll
glänzende Mähne und sein langer weißer Schweif.
Das Fohlen war so gänzlich unbeschwert. Mit
seinem frohen Sinn da zog es all die guten Energien aus seinem Umfeld förmlich an.
Wenn das schneeweiße Fohlen über die Wiese
lief, da streichelte der Wind sein Fell, die Sonne wärmte es, ja selbst das
Gras es neigte sich und bildete einen weichen Teppich unter des Fohlens
Hufenschlag. Die Quelle plätscherte ihr Wassertropfenlied und all die Vöglein
in den Bäumen und in der Luft, die stimmten ein, wenn das Pferd zur Tränke kam. Selbst an verregneten, kühlen und tristen
Tragen vertrieb mit seinem frohen Gemüt, das Fohlen alle trüben Gedanken. Denn
schon am frühen Morgen begrüßte es den Tag und überlegte sich, womit es die
neuen Chancen nutzen könnte, das Wunder Leben, auszukosten. Die Ideen, die es
dann hatte, die teilte das Pferde-Kind mit allen seinen Freunden. Manchmal
folgten sie ihm einfach nur, aber richtig toll wurden die Tage, an denen auch
die Freunde mit ihren Einfällen den Tag herausforderten und sie alle dann
gemeinsam die Früchte ihrer Aktivitäten ernten konnten.
Die Zeit verstrich und der alte Bauer, der
das Fohlen aufgezogen hatte, kam immer seltener zur Weide und wenn er kam, dann
tief gebückt, gestützt auf einen Stock. Auf der alten Holzbank saß der Bauer
dann und träumte von den vergangenen Zeiten. Er verfolgte das frohe Treiben der
Tiere und Pflanzen in der friedlichen Natur.
Die Kraft, die er daraus zog, hatte ihm
viele erfüllte Lebensjahre geschenkt.
Aber in der Welten Lauf gibt es eine
Lebensuhr und für jedes Lebewesen ist ein Zeitraum vorgeschrieben. Ist diese
Zeit dann abgelaufen, hört dessen Uhr zu ticken auf. Eines Nachts da schlug
auch des Bauern Stunde und der alte Bauer atmete ein letztes mal.
Fern von aller Zivilisation, das war die
Tragödie, war der Bauer, Witwer ohne Kind und Kindeskinder, hingeschieden ohne jemanden
im Leben seine Güter und sein Vermächtnis anvertraut zu haben.
Ab dieser dunklen Stunde warteten des
verstorbenen Bauern Tiere vergebens auf ihr Fressen, ihre Pflege und auf des
Bauern Herzlichkeit.
Fremde Menschen kamen seiner statt, raue
schroffe Menschen, die von Profit und Gewinn schwafelten und wirklich keinen
Blick für das natürlich Kostbare hatten.
Was das Fohlen nie zuvor kannte, Zügel und
der Peitsche pfeifen, musste es jetzt oft ertragen.
"Nein, nein, nein !!! " das Pferdchen wusste
wohl: "Dass wir leiden müssen, dafür sind wir Lebewesen wahrlich nicht
geschaffen" und es bäumte sich dagegen auf, wenn ein Mensch mit Macht ihm
versuchte seinen Willen aufzuzwingen.
FREI BIN ICH GEBOREN UND DAS BLEIBE ICH.
Niemand hat das Recht mich zu beugen,
weil er glaubt er hätte macht.
Und bevor der letzte Riegel und das letzte
Schloss am unüberwindlichen Zaun der Koppel angebracht wurden, nutzte das wilde
Fohlenjunge eine unachtsame Sekunde, preschte durch eine Zaunlücke und floh im
wilden Galopp in den tiefen schwarzen Wald. Gut wusste sich das Fohlen zu
verbergen, als die Menschen mit ihren Hunden nach ihm suchend den Forst
durchkämmten.
In der allerersten Nacht in der freien
Wildnis hatte das Fohlen großes Glück. Die winzige Fee Flügelschlag hatte das
Trampeln des Tieres nach anstrengender Flucht vernommen.
Als das Fohlen etwas verschnaufen
wollte, zeigte sie sich ihm in ihrer bezaubernden zarten Gestalt, deren nur ihr
verwandte freie Seelen gewahr werden konnten.
Weiß war die kleine Fee aus dem
Schmetterlingsklan, weiß wie das junge Pferd. Das Fohlen, ein Seelenverwandter,
war überwältigt von der Erscheinung der Fee.
Die Schmetterlingsfee wies Fohlen ein gutes Versteck
und gab ihm ihr Mantra, ihren Zauberspruch, mit auf den Weg:
"Zeig mir den Weg in die Freiheit. Gib
mir ein Zeichen, leuchte mir.“
Diese Worte bräuchte das Pferd nur zu denken
oder zu flüstern, wenn es den Rat oder die Hilfe der Fee nötig hätte, dann
würde sie ihm zu Hilfe eilen. Nicht allein zu sein, tröstete das junge Pferd,
denn seinen guten alten Bauern, den vermisste es so sehr und es trauerte um
ihn. Das Fohlen hatte nicht hungrig einschlafen müssen, denn es gab in der
sommerlichen Jahreszeit genug Nahrung im Wald, auf den Feldern und den Wiesen.
Schon immer hatte das Fohlen gern und mit
großem Fleiß Sprachen, Laute und Zeichen von vielen Lebewesen zu verstehen
gelernt. Das half ihm in der fremden Umgebung sehr. Es lauschte dem Wald seine
Geheimnisse ab.
Das Fohlen lebte fortan in Symbiose mit
den vielen Pflanzen, Organismen und Lebewesen des schwarzen Waldes. Es war ein
Nehmen und Geben. Es ernährte sich von Genießbarem und mied unverträgliches und
giftiges Futter. Mit seinem Kot düngte es den Waldboden, in seinem Fell trug es
die Samen der Pflanzen zu neuen fruchtbaren Standorten. Schutz vor schlechtem
Wetter fand es in Höhlen oder unter Bäumen.
Spätestens beim ersten Schnee wäre das
Pferd wohl bald verhungert oder vielleicht erfroren, wäre es ohne die Hilfe der
Elfen, Feen und der anderen Tiere gewesen.
Um der Freiheit Willen, musste das
namenlose Fohlen, das inzwischen zu einem wundervollen Ross herangewachsen war,
ständig vor den Menschen auf der Flucht sein. Das war ein hoher Preis für die
Freiheit. Der erste Winter, den das Fohlen im Wald verbracht hatte, war eisig gewesen
und hatte sehr lang gedauert. Zu Anfang freute sich das weiße Ross über die
Schneeflocken. Die schneebedeckten Hügel, Sträucher und Bäume boten ihm eine
gute Tarnung. Je länger der Winter aber andauerte um so mehr darbte das arme
Tier und es fror bitterlich. Doch wie durch ein Wunder überlebte das Pferdchen,
das im Frühjahr zu kränkeln begonnen hatte. Die Fee Flügelschlag vom
Schmetterlingsklan hatte ihm von den ersten sonnenerwärmten Tautropfen zu
trinken gegeben und das Pferd war wieder zu Kräften gekommen.
Als es dann Frühling geworden war, kamen
viele Menschen in den Wald und das Ross lebte in ständiger Angst, entdeckt und
eingefangen zu werden.
„Ach wäre ich doch ein Baum.“ wünschte sich das Pferd an einem Tag im
Herbst unbedacht.
„Dann bräuchte ich nicht mehr auf der
Flucht zu sein. Ein Ende hätte es mit der Rastlosigkeit und der Furcht. Ich bräuchte
nicht mehr springen, könnte einfach stehen bleiben. Das wäre wirklich
wunderbar.“

"Zeig mir den Weg in die Freiheit. Gib mir ein Zeichen, leuchte mir.“
rief das verängstigte Pferd nach der
kleinen Fee. Hoch über dem schwarzen Wald begriff das Ross, es hatte einen jener
Wünsche ausgesprochen, die erhört werden und die sich erfüllen.
Der Erdenzauber zur Wunscherfüllung war übermächtig
und der orkanartige Wind tosend laut gewesen. Die kleine Fee Flügelschlag
konnte das Rufen des Rosses in solchem Getöse unmöglich hören. Im Auge des Wirbels verwandelte sich das vierbeinige
weiße Tier in einen Baum mit vier kräftigen Wurzeln und einen Stamm überzogen
mit fellartigen Flechten. Im Stamm des Wunschbaumes war gut getarnt, der Pferdekopf
mit einer langen Flechtenmähne kaum zu erkennen. Erst als der Wirbel die
Wurzeln des Baumes, der gerade noch ein Ross gewesen war, tief in die Erde
getrieben hatte, zischte der Zauberwind auf und davon. Als der Spuk vorüber war, kamen viele
Neugierige an den Ort der Verwandlung. Die Fee Flügelschlag war eine der ersten
Besucherinnen. Sie machte sich große Vorwürfe, dass sie das unerfahrene Fohlen
nicht genug gewarnt hatte vor unüberlegtem Wunschdenken. Sie erkannte das
freiheitsliebende Ross im sprachlosen Baum wieder und streichelte es sanft. Ihr
hatte das Wesen in seiner früheren Gestalt besser gefallen, aber es war ihr
nicht möglich den Zauber rückgängig zu machen.
Das verwunschene Ross war nie allein. Es
hatte sich bald an seine neue Gestalt gewöhnt, die Vorteile des Baumseins zu
schätzen gelernt und die Nachteile im Rückblick auf das was es vor der
Verwandlung gewesen war akzeptieren gelernt. Für seine Freunde streckte der
Rossbaum seine Zweige weit aus, spendete ihnen Schatten und denen die auf der
Flucht waren bot er gute Verstecke. Noch heute flattern die Schmetterlingsfeen
um den Rossbaum, dessen Flechtenfell dicht geworden ist. Das üppige
Flechtenwachstum zeigt an, dass die Luftqualität im Schwarzwald sehr hoch ist und dass sich das verzauberte Ross dort wohl fühlt.
Die Holzschnitzer erzählten sich besonders
an den Winterabenden die Geschichte vom Fohlen, das sich nicht domestizieren
lassen wollte und das im schwarzen Wald am Rande der Wutachschlucht, als es
übereilt einen Wunsch ausgesprochen hatte, seine ruhelose tierische Gestalt in
einem Wirbelsturm verloren hatte.
EIN WEISSES SCHAUKELPFERD
aus Holz
geschnitzt erinnert an das verzauberte RossBaumgesicht.
Schaukle bloß nicht zu wild - in die winterliche
Weihnachts-Nacht. Wenn du so auf einem Holzpferd wippst, dann wünsch dir was, doch gebe Acht.
Bevor man einen Wunsch ausspricht, sollte
man sich stets gut überlegen, was man denn wirklich will, denn Wünsche sind wie
Schwingungen, die sich ausdehnen und die auch ganz ohne Zauber Veränderung
bringen können, schon wenn sie nur erdacht‘...
text & fotos: © johanna
Zentgraf