DAS MAGNOLIENSAMEN-BAUMGESICHT
AUS DEM
WELTENALL
Der Schuppenvogel „Rotario“ war schon eine lange Zeit in
einer braunen schalenförmigen Kapsel durch unendliche Weiten des Universums geflogen,
als er einen wundervollen Planeten, der im Licht der Sonne blau, türkis und
grün leuchtete, entdeckt hatte. Auf seiner langen Reise war er nie zuvor solch
einem farbenprächtigen Planeten begegnet.
Dort möchte ich hin, hatte er gedacht und landete kurz entschlossen auf dem Mond, der ein Trabant dieses Planetens ist.
Dort möchte ich hin, hatte er gedacht und landete kurz entschlossen auf dem Mond, der ein Trabant dieses Planetens ist.
Mit dem Mond umrundete er den blauen Planeten. Neugierig
erkundigte sich Rotario beim Mann im Mond, ob ihm dieser etwas über sein neu
entdecktes Reiseziel berichten könnte. Der Mann im Mond führte seinen Gast zu
einem großen Fernrohr, das auf die Erde ausgerichtet war und mit dessen Hilfe
man ganz nah auf die Erdkugel zoomen konnte.
ERDE was für eine ungewöhnliche Bezeichnung für einen
Planeten, der wenn schon nach einem Grundelement der Vier-Elementen-Lehre (Wasser, Feuer, Erde, Luft) benannt,
doch wohl treffender "WASSER" hätte heißen müssen, denn davon schien es auf
diesem Planeten sehr viel zu geben.
Die Menschen - Lebewesen, die den blauen Planeten zahlreich
bevölkerten, so berichtet der Mann im Mond dem roten Universumsreisenden, hatten
im Laufe ihrer Evolution das feuchte Element verlassen und waren überaus stolz
darauf an Land - auf der Erde überleben zu können. Manche von ihnen glaubten wohl
gar daran, selbst aus Lehm, einem erdigen Schlamm gemacht worden zu sein. So hatten
die Meschen die Kugel, auf der sie lebten: „Mütterchen Erde“ genannt.
Wie wohl die anderen Lebewesen auf Erden ihren
Heimatplaneten nennen würden, das wusste der Mann im Mond nicht.
Ob die Fische
ihren Heimatplaneten mit WASSER betitelten und die Vögel ihn vielleicht mit
LUFT bezeichnen würden und ob andere der unzähligen lebendigen Geschöpfe dieses
Planeten, wiederum ganz andere Vorstellungen von und andere Namen für ihren
Lebensraum hätten, darüber machte sich der Mann im Mond so seine Gedanken.
Nach dem Element FEUER, dessen war sich der Mondmann allerdings
ganz sicher, hätte gewiss keines der auf der Erde lebenden Wesen seinen Planeten
benannt, denn vor der Zerstörung des Feuers hatten wirklich ausnahmslos alle auf
der Erde lebenden Geschöpfe große Angst. Sogar die Menschen, die glaubten des
Feuers Herren werden zu können, hatten bei ihren vielen Kämpfen mit dem heißen,
züngelnden Element, die zerstörerische Kraft des Feuers zu spüren bekommen. Nicht
immer war es ihnen gelungen, das Feuer rechtzeitig zu zähmen, bevor es alles
Brennbare verschlungen hatte. So hatten auch die Menschen Furcht vor dem Feuer und
respektvoll riefen sie es stets bei seinem Vornamen „Vorsicht“, bevor sie
seinen Nachnamen „Feuer“ aussprachen.
Rotario der Schuppenvogel
aus dem Weltraum
staunte anerkennend über das Wissen des Mannes im
Mond. Wie hatte er aus solcher Entfernung nur so viel über den Nachbarplaneten erfahren können ?
Der Mann im Mond war der Spezies Mensch nur wenige Male und zwar im 20. Jahrhundert (nach deren Zeitenrechnung) begegnet. Es waren
Astronauten gewesen, die auf seinem Planeten, dem Mond, gelandet waren. Die Abgesandten
der Erde, die auf der Suche nach neuen Lebensräumen für die Menschheit waren, hatten
dem Mann im Mond viel von ihrem Planeten berichtet und hatten ihm eine
amerikanische Flagge und ihr Fernrohr als Gastgeschenk überlassen.
Seit damals verbrachte der Mann im Mond sehr viel Zeit mit
Beobachtungen durch das Fernglas und dem Studium der Erde. Täglich blickte er viele
Stunden ins All und er zoomte oft auf interessant erscheinende Punkte des sich
drehenden Erdenballs. Er sah auch, dass die Menschen Raketen und Satelliten in
den Weltraum schossen, aber nach 1972 war kein Erdenlebewesen jemals wieder auf
dem Mond gelandet. Warum eigentlich nicht? Das hatte sich der Mann im Mond
immer wieder gefragt. Wären da nicht als Realitätsbeweise das Fernrohr und die
Fahne, bezweifelte der Mondmann manches Mal, ob er die Mondlandung der Menschen
vielleicht nur geträumt haben könnte.
Rotario war fasziniert von den Meeren, Seen, Flüssen, Bergen
und Tälern von den Wäldern, Wiesen, Feldern und Wüsten, die er auf der Erde durch
das Fernrohr erspäht hatte. Am meisten war er aber neugierig auf das Element
Luft, von dem der Mann im Mond ihm erzählt hatte. Das Gesehene und die
Schwärmereien des Mannes im Mond hatten Rotarios Wunsch, die Erde näher kennen
zu lernen, verstärkt. In freudiger Erwartung fieberte er der Zeit entgegen, da
er seine gefederten Artgenossen, die auf der Erde lebten, kennen lernen könnte.
Er träumte davon, gemeinsam mit anderen Vögeln am blauen Himmel durch die Lüfte
zu fliegen, sich von den Winden tragen zu lassen und bis zu den Wolken zu
schweben.
Der Mann im Mond, der selbst gern einmal zur Erde gereist
wäre, dies aber nicht konnte, weil er Frau Luna - die Mondfrau, nicht allein
lassen wollte, half seinem neuen Freund, dem Schuppenvogel bei dessen
Reisevorbereitungen für den Flug zur Erde.
Die braune Reisekapsel mit der Rotario fliegen wollte, musste
völlig überholt und gut abgedichtet werden, damit sie den Flug durch die
Ozonschicht, die die Erde umgibt, unbeschädigt überstehen würde. Das war viel
Arbeit und es blieb wenig Zeit für die Beschäftigung mit der Materie Erde und für
ein vorbereitendes Studium der Bedingungen und möglichen Gefahren auf dem zu
erkundenden Planeten. Rotario wurde immer ungeduldiger. Die Erde übte eine zu große Anziehungskraft auf ihn aus, als
dass er sich nicht mehr als zwingend notwendig mit zeitraubenden Vorbereitungsarbeiten
aufhalten lassen wollte.
„Komme, was da kommen mag…“ dachte Rotario.
Zum Mondmann, der ihm gern noch einige seiner Ratschläge mit
auf den Weg gegeben hätte, sagte Rotario:
„Meine Erfahrungen mache ich vor
Ort, die Praxis sei mein Meister, ich hab es nicht so mit der Theorie.“
Der Mann im Mond konnte die Rastlosigkeit des Vogels gar nicht
nachvollziehen. Er und seine Frau Luna hätten das übermütige und lebenslustige
Vögelchen gern noch etwas länger an ihrer Seite gehabt. Doch ehe der Mondmann
sich’s versah, hatte Rotario auch schon sein rotes Helmchen aufgesetzt und saß bereits
hinter dem Steuer seiner Raumfahrtkapsel.
„Meine Flugkapsel ist okay. Auf geht’s zu neuen Abenteuern.
Habt Dank lieber Mann im Mond, liebe Frau Luna. Ich grüße euch bald von der
Erde, wenn ihr mit dem Fernrohr Ausschau nach mir haltet.“
Mit diesen
Worten verabschiedete sich der Schuppenvogel und blitzgeschwind mit einem
schrillen „Ziiiiisch zschsch“ war Rotario auch schon in seiner Laufbahn
Richtung Erde.
Der Mann im Mond machte nur noch ein sandkorngroßes Pünktchen aus,
als der die Kapsel des Schuppenvogels mit dem Fernrohr suchte.
Der mutige kleine gepanzerte Schuppenvogel wurde nicht
schlecht durchgeschüttelt, bei seinen Zickzack-Flugmanövern, die er machen
musste, um den Sonnenstürmen auszuweichen. Knapp war er so manches Mal den
Stürmen und ihren Ausläufern entkommen. Tapfer hatte er schnell und richtig
reagiert und hatte seine Kapsel immer noch gerade rechtzeitig aus der
Gefahrenzone manövrieren können. Doch als er die Ozonschicht der Erde durchflog
oh weh, hatte sich einer der Antriebe seiner Raumkapsel entzündet. Rotario
musste, um sich zu retten, in seine kleine Notlandekapsel umsteigen und diese
von der großen Raumkapsel abkoppeln. Wehmütig sah er aus der Luke der Notkapsel,
zum Glück aus ausreichender Entfernung, wie sein schönes Raumschiff verglühte
und einen langen Feuerschweif nach sich zog. Der Mann im Mond und seine Frau, die
diesen glühenden Schweif gesehen hatten, trauerten sehr um das todgeglaubte
Weltraumvögelchen.
Der Schreck begleitete Rotarios Notlandeflug. Auf den letzten
Metern musste der Schuppenvogel auch noch die bei der Abkopplung vom
Hauptschiff beschädigte Notkapsel schnellstens verlassen. Sein geöffneter Fallschirm,
die letzte Rettung vor einem rasanten Absturz, war an den Ästen eines Baumes
hängen geblieben und gerissen. Aber wie durch ein Wunder wohlbehalten fand sich
Rotario, nachdem er aus einer Ohnmacht erwacht war, geschützt in seinem schuppigen
Raumanzug auf einem Magnolienbaum mitten in einer Stadt wieder. So hatte er
sich seine Ankunft auf Erden nicht vorgestellt, aber er war am Leben und das
war die Hauptsache.
Als er sich vom Schrecken erholt hatte, plusterte er sein
schuppiges rotes Gefieder auf und spreizte seine Flügel. Er versuchte, sich zum
ersten Mal in die Lüfte zu schwingen. Aber oh je, er konnte nicht fliegen. Seine
rotierenden Flügel, mit denen er in der Schwerelosigkeit des Weltalls die
tollsten Flugshows vorgeführt hatte, waren für den Flug durch die Luft nicht
geeignet.
Rotario wurde vor Wut darüber noch röter als er ohnehin schon
war. Nun saß er fest und klammerte sich an den Ast, um nicht vom Baum zu fallen
und hoffte auf ein weiteres Wunder.
Viele Vögel besuchten den Magnolienbaum auf dem Rotario
gelandet war. Sie staunten sehr und tuschelten:
„Wer ist denn das, wo kommt
der her?
Soll das ein Vogel sein - dieser
Exot, wie Feuer so rot?
Was bringt er uns? – Vielleicht
…? - Vielleicht den Tod?“
Rotario hörte, wie man ihn einen Feuerfuchs nannte, der
seinen Schweif am Himmel abgeworfen hätte.
Der Weltraumvogel ahnte Schlimmes,
denn er erinnerte sich an die Erzählungen des Mondmannes zum Thema Feuer auf
Erden. Als gefährlich stuften die Erdlebewesen nun ausgerechnet ihn
ein, den friedfertigen und abenteuerlustigen, durch Flugunfähigkeit gehandikapten
Vogel, der mit besten Absichten zur Erde gekommen war. Das war eine der denkbar
schlechtesten Voraussetzungen, um auf Hilfe oder gar Freundschaft hoffen zu
können. Wie er befürchtet hatte, wurde Rotario von den Erdbewohnern nach
solcher Verleumdung gemieden und er stieß auf Ablehnung solch eines Ausmaßes,
wie es ihm noch nirgends im All widerfahren war.
Nicht dass Rotarios Existenz kein Interesse geweckt hätte, das
schon, aber dieses Interesse galt nicht wirklich ihm oder einer
Wahrheitsfindung. Es war lediglich Basis für Spekulationen, die das
Augenscheinliche und die Erfahrungen der argwöhnischen Schaulustigen zu bestätigen
suchte. Niemand hatte ihn befragt, weder nach seiner Herkunft noch nach seinem Vorhaben
oder warum und wie er an diesen Ort gekommen war und schon rein gar nicht, wie
es ihm erginge. Die meisten Lebewesen auf der Erde hatten verlernt, was
Gastfreundschaft ist.
Rotario wurde als Fremder misstrauisch und missbilligend beäugt
und da ihn selbst niemand befragte, wagte der Vogel auch niemanden anzusprechen
oder sich gar jemandem anzuvertrauen.
Lediglich der Magnolienbaum, an dessen Zweig sich Rotario krampfhaft
klammerte, hatte ein Mitgefühl für den kleinen Vogel in fremder, ja feindlicher
Umgebung. Auch die Magnolie war einst aus einer völlig anderen Umgebung, aus
dem fernen Amerika nach Deutschland gekommen und dachte oft daran, wie schwer
es für sie gewesen war, sich an die Fremde zu gewöhnen, wo sie viele Kreuzungen
über sich hatte ergehen lassen müssen.
Obwohl die Blätter der Magnolie Rotario schützend vor bösen
Blicken zu verbergen suchten, das Rot seiner Schuppen war einfach zu leuchtend.
Es gab keine Möglichkeit sich zu verstecken. Die Legende um den Feuerfuchs aus
dem All verbreitete sich wie ein Lauffeuer und wurden angereichert mit neuen
Episoden auch immer mysteriöser. Vor Scham über all die Unterstellungen, die
man dem Schuppenvogel andichtete, erröteten Rotario noch mehr. Er glühte vor
Röte.
Füchse kamen zum Magnolienbaum und verspotteten Rotario:
„Ein Fuchs willst du sein?“
Und hörten nicht auf sein: „Nein!“
„Papperlapapp, dein Schwanz ist ab.
Da hilft dir auch
nicht Fuchses List, weil du ohne Schwanz kein Fuchs nicht bist.“
Die Vögel, die dem Schuppenvogel etwas näher kamen, erahnten
instinktiv, dass Rotario ein Artgenosse sein musste, aber auch sie, deren
Freund er gern geworden wäre, jedenfalls bevor er zum Opfer ihres
Gruppengespötts geworden war, machten sich lustig über ihn:
„Ein Vogel willst du sein, piep hi hi, piep hii hi hi,
ein Feuervogel noch?
Dann zeig es uns und flieg,
ja fliege doch!“
Das war jetzt aber echt zu viel, Rotario war außer sich.
Er sagte
„Ja“ und sprang vom Baum.
Unter der Magnolie lagen nun die Samenschuppen seines
Raumanzugs auf einem Fleck. Manche keimten, kleine Magnolien wuchsen daraus. Andere
der Schuppen blies der Wind davon und Einige trugen Tiere oder Menschen weg.
Einen
der roten Samen pickte ein Hahn. Der Samen war hart, sehr hart sogar und der Hahn
schrie „au“, verlor sein Zweites, das überflüssige „h“ und wurde feuerrot. Hahnau,
der rote Hahn ward zum Symbol für Feuer fortan und wehe dem, auf dessen Dach er kräht der rote Hahn.
Rotario indes so ohne seinen leuchtenden Raumanzug ganz
unscheinbar, der konnte unbemerkt entfliehen. Von Abenteuern auf der Erde hatte
er genug. Obwohl er hätte wirklich gern die schönen Stellen, die es reichlich
gab auf Erden noch besucht. Doch das war nicht mehr wünschenswert, nicht solang
die Wesen auf der Erde so fremdenfeindlich waren. Im Geheimen und unauffällig
baute der Weltenreisende überlebensgeprüfte Vogel sich eine neue Weltraumkapsel.
So schnell er konnte flog Rotario weit, weit fort zu einer
neuen hoffentlich gastfreundlicheren Galaxis. Den Mann im Mond und seine Frau
Luna, das ließ er sich nicht nehmen besuchte er. Die Beiden waren überglücklich,
dass ihr kleiner Gast lebte und dass Rotario trotz all der Erfahrungen und
der Enttäuschungen immer noch quietschvergnügt und neugierig geblieben war.
text & fotos 2010: © johanna zentgraf
Huhu,
AntwortenLöschenEs ist schon witzig: Seitsem du mir von deinem Fable erzählt hast, sehe ich plötzlich überall Baumgesichter!
Erst gestern einen laut lachenden Baum....oder gähnt er?( Das Bild sieht man in meinem letzten Blogpost, falls es dich interessiert)
Liebe Grüße,
Lenn